von Wiebke Schulz
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28. November 2022
Was mit mir passiert ist, als ich die Werke von Lamothe katalogisierte: Das war spannend. Als ich seine Bilder vor ein paar Jahren zum ersten Mal sah, sprachen sie mich nicht besonders an. Zu dunkel war mir diese schwarze Linolschnitt-Ästhetik, zu merkwürdig die Gesichter, zu krakelig die Linien. Doch dann sah ich genauer hin. Ich las die Titel der Bilder. Ich sah Details. Und ich musste schmunzeln. Szenen kubanischen Lebens – Menschen in ihrem Alltag So schön beobachtet waren die Szenen! Und so liebevoll wiedergegeben. Der leise Humor, der in den Szenen liegt. Die Eigenheiten des Menschen, Alltagsgefühle, die jeder kennt – unabhängig vom Kontinent. Und sicher auch kubanische Eigenheiten, die ich gar nicht erkennen kann, weil ich Kuba nicht kenne. Doch ich kann sie erahnen. Und das macht unheimlich viel Spaß. Es bereitet mir helle Freude, mir jedes einzelne Bild anzuschauen und in die Szene einzutauchen. Ich sehe Lamothe förmlich vor mir, wie er am Malecón sitzt, die Menschen beobachtet und konzentriert seine Skizzen anfertigt. Ich habe keine Ahnung, wer Lamothe wirklich war. Aber durch seine Bilder und durch die Geschichten, die mir Kaisa und Robert erzählen, bekomme ich eine Vorstellung. In meinem Kopf entsteht ein Mensch, der die Menschen liebte. Und der mittels der Kunst das Menschliche zeigen wollte. Der sich selbst nicht zu wichtig nahm. Und sich das ein oder andere selbstironische Selbstporträt in seinem Werk findet (wie zum Beispiel „El maratón esfuerzo“ – Lamothe an seinem 50. Geburtstag im Running Outfit). Viele Bilder sprechen mich nun tatsächlich emotional sehr an. Es entspinnen sich Geschichten in meinem Kopf. Ich fühle mit den Figuren. Ich sehe den kecken Gesichtsausdruck der „Provocadora“, die am Kiosk mit dem Verkäufer flirtet und muss schmunzeln. Ich freue mich mit den zwei Kumpels, die auf der Mauer ein Fläschchen Rum leeren - „En compaña del ron“ eben. Ich habe Mitleid mit „Henri“, der abseits der plaudernden Grüppchen sitzt und muss fast lauthals lachen, wenn mein Blick auf den betrunkenen „Borracho.com“ fällt! In manchen Werken meine ich, auch politische Botschaften zu entdecken. Doch um diese wirklich zu verstehen, muss ich erst noch ein wenig tiefer eintauchen in diese Materie. Momentan erfreue ich mich an dem liebevollen Blick auf den Menschen. (Und ganz nebenbei liebe ich die Haptik dieser Bilder: das feste Papier, die raue Druckerschwärze, das fühlbare Profil der Linien – das ist echte Handarbeit!) Kunst in Kuba ist sicher nicht einfach Ich stelle mir all diese Szenen immer vor dem Hintergrund vor, dass Lamothe aus Kuba kam und die meiste Zeit dort lebte und arbeitete. Zensur und schwierige Lebensverhältnisse haben ihn nicht davon abgehalten, all diese kleinen Geschichten zu erzählen. Sein Glaube an die Kunst hat ihm die Kraft gegeben, auch außerhalb der Grenzen Kubas bekannt zu werden. Ich stelle es mir jedenfalls so vor, dass Durchhaltevermögen, Talent und Überzeugung, vielleicht auch etwas Glück und ich glaube auch sein Charakter, ihm dazu verholfen haben, seinen Weg zu gehen. Bei meinen ersten Recherchen zum Thema Kunst in Kuba habe ich diesen Absatz gefunden: „Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden“ Der Kurator der Havanna-Biennale in Kuba Nelson Herrero Ysla sagt in einem Interview des Deutschlandfunks: „Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden, an die soziale, politische und wirtschaftliche Realität. Bei uns bestimmt nicht der Kunstmarkt, was für Kunst entsteht. Kubanische Künstler handeln auf Grund der Weltlage, durch die amerikanische Einmischung und den Boykott stehen wir immer unter Druck. Aber wir haben auch sehr viel Humor in der Kunst und sogar in der Kunstkritik. So ernst wir auch sein mögen, am Ende kommt immer ein Scherz, eine Wendung ins Komische oder Absurde, sonst sterben wir einfach vor Langeweile.“ Genau so habe ich es empfunden, als ich begann, in Lamothes Werk einzutauchen. Lamothe, das ist dir großartig gelungen. Ich ziehe meinen Hut!